Reiten mit Kandaren ( noch im Aufbau )

Betrachtet man die Gebisstafeln aus historischen Quellen so fällt auf, dass alle sehr lange Unterbäume und hohe Zungenfreiheit haben. Von den heute im Reitsporthandel erhältlichen Kandaren kommt nur das Team-Gebiss (nach Tellington-Jones benannt) diesen Abbildungen nahe. Ich habe dieses Gebiss oft benutzt und war zunächst von der positiven Wirkung auf Pferde verschiedenen Charakters überrascht. Die Kommentare anderer Reiter beim Anblick Zäumung waren allerdings meistens ablehnend. (z.B.: "Was hast du denn da für ein scharfes Gebiss? Geht dein Pferd nicht auf Trense?" Ich antworte dann meistens: "Es gibt keine scharfen Gebisse sondern nur Reiter mit harten Händen.")
Um sich ein besseres Urteil bilden zu können, sollte man einmal selbst ein solches Gebiss einlegen, natürlich nur, wenn man in der Lage ist, unabhängig von der Hand zu sitzen.
Als erstes eröffnet sich dabei die Erkenntnis, dass ein hartes Einwirken an der Hand nicht möglich ist, da das Pferd dabei sofort blockiert. Man ist gezwungen, ohne Druck am Zügel zu reiten, wie man es auch auf allen alten Darstellungen eines Schulreiters sehen kann.

Zu beachten ist natürlich, dass erst das schon geförderte Schulpferd auf diese Art gezäumt und einhändig geführt wurde , junge Pferde dagegen zunächst auf Trense geritten, und dann mit Hilfe eines leichten Kappzaums beigezäumt wurden, um das Pferdemaul zu schonen.

Bei der Beurteilung dieser Frage sind einige physikalische Überlegungen angebracht, die eindeutig zu der Erkenntnis führen: je länger der Unterbaum um so weichere Einwirkung ist möglich und eine hohe Zungenfreiheit ermöglicht eine für das Pferd angenehmere, tiefere Lage der Kandare im Pferdemaul, so dass die Maulwinkel nicht hochgezogen werden müssen.

Aus: "Enzyklopaedie von Diderot und D'Alembert"
Diese Tafel zeigt die von Guérinière verwendeten Gebisse. Zunächst scheint mir nicht allgemein bekannt zu sein, dass sein Standardgebiss ein Pellham war. Ein ungebrochenes Gebiss beschreibt er als härter einwirkend. Besonderes Gewicht legt er auf die Winkelung der Unterbäume. Stärker gewinkelte Unterbäume vermindern den von der Kinnkette ausgübten Druck wenn sich die Kandare ohne Zügeleinwirkung selbst ausbalanziert. Bei genauer Betrachtung der Bilder sowie bei von Museeumsstücken, wie man sie z.B.: in dem sehenswerten Marstall-Museeum der Fürstlichen Hofreischule in Bückkeburg sehen kann, sind einige Details erkennbar, die man an den heute gehandelten Gebissen nicht findet.
  • 1. Die Gebisse sind an der Stelle, an dem sie auf den Laden wirken, sehr dick ( mehr als 20 mm ).
  • 2. Der Querschnitt ist dort nicht ein Kreis sondern ein flaches Oval.
  • 3. Die Kinnketten sind breiter und bestehen aus großen, dicken Ringen.
  • 4. Die Gebisse sind an den Bäumen nicht rechtwinklig angesetzt, sondern schräg aufwärts.
  • 5. Die Bäume sind sehr lang ( Oberbaum ca. 8 cm, Unterbaum ca. 20 cm).
Aus:Guérinière: Ecole de Cavallerie
Diese Besonderheiten scheinen mir bedenkenswert. Ich bin sicher, dass die Reitmeister des Barock ihr Handwerkszeug für die Schulreiterei sorgfälltig und mit Überlegung gestaltet haben. Nicht sicher bin ich bei der Beantwortung der Frage, ob wir heute bessere Kenntnisse besitzen oder nicht. Es wäre nicht das erste Mal, dass wertvolle Erkenntnisse und Praktiken in Vergessenheit geraten sind. Alle Gebisse, die wir heute benutzen, stammen aus dem militärischen Bereich und sind für die dortigen Anforderungen gestaltet.
Sie sind auch nicht etwa Erfindungen des 19. Jahrhunderts sondern waren schon Guérinière bekannt. Im Kapitel "Von der Zäumung" finden wir: "Man hat noch einen alten Baum,... Es ist eine Art Husarengebiss mit sehr kurzen Bäumen. Die Stange wird, wie auch bei den anderen, in verschiedener Gestalt gemacht. Zuweilen hat sie die Wendung eines lateinischen S, bald ist sie ganz gerade. Wegen der minderen Schwere kann dieser Baum bei kleinen Pferden und bei Läufern, wenn sie ein gutes Maul haben,hingehen.
Wollen wir heute die barocke Schulreiterei betreiben, könnte eine Erprobung der historischen Gebisse durchaus sinnvoll sein.

Welche Gründe könnten für diese Abweichungen vorliegen?
  • 1. Eine runde Stange von 14 mm Durchmesser drückt schärfer auf den Laden des Unterkiefers als ein flaches Oval mit den Massen 25 mal 10 mm.
  • 2. Das flache Oval sperrt das Pferdemaul nicht unnötig auf.
  • 3. Breitere Kinnketten vermindern den Druck in den Kinnkettengrube.
  • 4. Dieses Detail erscheint mir besonders interessant. Das Gebiss kann tiefer im Pferdemaul liegen, so dass die Lefzen nicht hochgezogen werden. Durch die schräg nach oben führenden Teile wirken diese aber weiter oben auf die Zunge, und verhindern, dass sie über das Gebiss kommt.
  • 5. Lange Unterbäume ermöglichen feines Einwirken. Die Hand jedes Reiters schwingt mehr oder weniger im Rhytmus der Pferdebewegung. Diese unvermeidbare Einwirkung am Zügel ist für das Pferd um so angenehmer je länger die Unterbäume sind.
    Der Druck, den Kinnkette und Stange ausüben, wird nicht durch die absolute Länge des Untebaums sondern durch das Verhältnis der Längen von Ober- und Unterbaum bestimmt.
    Besonderen Wert legt Guérinière auf die Winkelung der Unterbäume. Je weiter sie nach hinten gebogen sind, desto weicher die Einwirkung, da sie sich unter dem Einfluß der Schwerkraft der Vertikalen annähern werden und die Kinnkette entspannen. Dieser Effekt ist um so größer, je länger (und schwerer) die Unterbäume sind.
    Durch die 2-3 cm tiefere Lage im Pferdemaul kann der Oberbaum entsprechend länger sein ohne dass die Kinnkette falsch plaziert wird
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